STEFAN RAAB VS. REGINA HALMICH: ENTERTAINER VERLIERT ERNEUT IM BOXRING

Zum dritten Mal verliert Raab gegen Halmich – und reißt im Ring großmäulige Witze wie ein Sieger. Die endlosen Lobhudeleien auf den TV-Moderator klingen wie ein Nachruf auf eine kollektiv vergoldete Fantasiefigur.

Wenn Raab tot wäre, würde vieles, was hier gerade läuft, Sinn ergeben: Diese milde gefilterten Würdigungsworte etwa, die Unterhaltungsgrößen wie Thomas Gottschalk, Bully Herbig, Udo Lindenberg, Helge Schneider und Herbert Grönemeyer per Video über Stefan Raabs Werk und Wirken abliefern. »Stefan hat mein Leben lustiger gemacht«, sagt zum Beispiel Campino, und es klingt wirklich ein bisschen wie ein Nachruf oder mindestens ein neunzigster Geburtstag.

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Es dauert an diesem Abend sehr lang, bis Stefan Raab und Regina Halmich tatsächlich in den Boxring steigen, bis man des geheimnisvollen aktuellen Raab-Körpers überhaupt das erste Mal ansichtig wird. Die Zeit bis dahin wird mit besagten Grußonkel-Videoschnipseln und länglichen Archivmaterial-Rückblicken auf Raabs bisherige TV-Karriere gestreckt.

»Recollections may vary«, die Erinnerungen könnten unterschiedlich ausfallen, hat die verstorbene Queen Elizabeth II. mal gesagt. Als Zuschauerin mit bei manchen Themen bedauerlich gutem Gedächtnis muss man daran denken, dass Thomas Gottschalk einmal feststellte, Raabs Gemeinheiten seien stets »lustig« und »nie boshaft« gewesen. Man wäre an dieser Stelle ausnahmsweise ganz gern mal ein paar Stündchen mit Gottschalk in einem Fahrstuhl eingesperrt, um ihm auf dem Handy zum Beispiel ein paar Folgen von Raabs »Vivasion« vorzuführen: Eine Sendung wie ein feuchter Fuzzi war das, in der er schon vor TV Total zeigte, wie gerne er Menschen grundlos bloßstellt und beschämt.

Cindy aus Marzahn statt Cathy Hummels

Aber davon soll heute, an seinem großen Comeback-Abend, freilich taktvoll keine Rede sein, obwohl Raab, wie sich später noch herausstellen wird, nicht verstorben, sondern bei augenscheinlich bester Gesundheit ist. »Stefan hat mein Leben lustiger gemacht«, sagt der Video-Campino noch einmal. »Alles, was er macht, ist lustig«, sagt »Bachelorette« Sharon Battiste in der Düsseldorfer Mehrzweckhalle, in der später noch live geboxt werden soll. »Er war einfach immer so crazy«, sagt Dschungelkönigin Evelyn Burdecki. »Was bedeutet es dir persönlich, dass er jetzt zurückkehrt?«, fragt Moderatorin Laura Wontorra, »Ich find’s gut«, minimalfreut sich Joey Kelly. »Stefan ist im Bereich Musik ein echtes Genie«, sagt Markus Lanz dann wieder im Video, auch Peter Klöppel erklärt, er findet »Wadde hadde dudde da« richtig stark. Versehentlich sind mit Judith Rakers und Anne Will dann auch noch zwei Frauen in die Jubelclips geraten, da hätte man natürlich sorgfältiger arbeiten müssen.

Überhaupt: Ein bisschen unterbegeisternd ist das alles schon, wenn man hier live in der Halle sitzt und wartet. Das »TV-Event des Jahrzehnts« sollte dieser Abend werden, so Sender und Einpeitsch-Aufwärmer vor der Show, aber nicht mal Cathy Hummels ist da. Mike Tyson soll wohl kommen, hat vor Stunden jemand vor der Halle gemutmaßt, mindestens ein Klitschko sei sicher, tatsächlich erscheinen Cindy aus Marzahn und Martin Rütter (in einem Martin-Rütter-Fanshirt). Statt Giovanni Zarella kommt sein Bruder, der allzeit froh grimassierende YouTube-Koch Stefano, statt Toni Kroos sein Bruder Felix. Und auch gleich vier Bachelors und drei Bacheloretten können den bezeichnenden Fakt nicht aufwiegen, dass der GOAT der RTL’schen Stenzkunst, Paul Janke himself, ebenfalls nicht vor Ort ist.

Der Golden Circle rund um die Bühne ist am Ende weitestgehend mit jener Güteklasse Promis gefüllt, deren Relevanz man trash-fernen Kollegen und Kolleginnen umständlich erklären muss, und ausnahmsweise ist deren Ahnungslosigkeit nicht bloß kokett gemeint. Wo sind sie denn alle, die Lobhudelmänner aus den Einbalsamierungseinspielern? Warum sind sie an Raabs großem Abend nicht vor Ort, wenn sie doch so verknallt in ihn sind?

Gute eineinhalb Stunden sieht man Raab vor allem in Rückblenden. Raab bei TV-Total, als Freund der Promis, als Musiker und ESC-Restaurator, Raab als Entertainer, Raab als fletschiges Wettkampfbiest. Das nervt schon kolossal, wenn man rein beruflich und damit gratis in der Düsseldorfer Halle sitzt – wie betuppt muss man sich aber fühlen, wenn man sich Karten für das vermeintliche Live-Event des Jahres gekauft (150 Euro haben die Umsitzenden bezahlt, ergibt eine Blitzumfrage), sich eine Hose angezogen und extra angereist ist? Der alte Raab, diese heute kollektiv vergoldete Fantasiefigur, hätte diese zähe Veranstaltung längst gecrasht.

Aber es ist nicht alles schlecht an dieser sonderbar weihevollen Veranstaltung, das muss man jetzt auch mal sagen. Vor allem für Menschen, die in selbstkritischen Momenten fürchten, gelegentlich ein bisschen zu selbstverliebt, mitunter gar egozentrisch zu sein, ist der Abend ein absolutorisches Labsal: So im Vergleich geht das eigene Ego dann doch noch gut als Handgepäck durch, denkt man sich froh, als Raab schließlich irgendwann doch noch in echt erscheint.

Erst darf Regina Halmich einmarschieren, die unverwüstliche Doro Pesch singt ihre Einzugshymne, bevor dann noch Helge Schneider auftritt, ja wirklich, und zu Zwecken der weiteren Raab-Verzögerung »Katzeklo« singt. Fitnessvideogigantin Pamela Reif fliegt noch fix im Engelskostüm durch die Halle, dazu wird per Playback eingespielt, wie jemand anderes – mal was ganz Neues – ein Loblied auf Raab singt, dann kommt er langsam, sehr langsam eine Leuchttreppe herunter. Es dauert, es hat seine Längen, es überschätzt die eigene Strahlkraft dann doch ein bisschen.

In der Halle wird jetzt geböllert und diverse Pyroeffekte abgefackelt, es stinkt nach Silvester. Eine hallenhohe Umkleidekabine wird entrollt, unter der sich Raab aus seinem Fatsuit schält, und schließlich steht er dann da, auf einem Ausfahr-Podest, mit nacktem, sichtlich trainiertem Oberkörper und in Siegerpose, es ist alles sehr normal und gar nicht wunderlich: Der Berg kreißte und gebar einen Mann, dem man aus der Ferne eine verspätete Midlifecrisis diagnostizieren würde.

Dann beginnt der Boxkampf, dessen Ergebnis von Anfang an egal ist, von dem nichts abhängt, bei dem es um nichts geht. Raab wird so oder so zurück ins aktive TV-Geschäft kommen, das ist klar, all der Aufwand, das retortige Ballyhoo schnurzelt bei dieser Erkenntnis zusammen wie ein ohnehin schon leicht schlaffer Ballon. Natürlich besiegt Halmich ihn ein drittes Mal, natürlich reißt Raab hinterher noch im Ring großmäulige Witze, die so tun, als habe in Wahrheit er gewonnen. Er vergibt damit die Chance auf den vielleicht einzigen Moment, der an diesem Abend wirklich überraschend gewesen wäre: Stefan Raab, der sagt: Ich habe verloren, du warst besser als ich. Ob man heute noch einen Mann mit Messiaskomplex bejubeln will, der offensichtliche Niederlagen negiert, weil solches Verhalten der Welt ja auch außerhalb dieser Halle in Düsseldorf schon immer Gutes beschert hat, darf wie immer jeder und jede selbst entscheiden.

»Jetzt kommt ein Meme«

Bei der anschließenden Pressekonferenz, bei der enthusiasmierte RTL-Mitarbeitende wie routinierte Wooohoo-Girls die Euphorie emporzuwuchten suchen und ein bisschen zu beflissen »großen Andrang« simulieren, stellt irgendwann Mrs. Bella, eine sogenannte Content-Creatorin, einem glänzend gelaunten und tatsächlich kaum lädiert wirkenden Stefan Raab eine Frage zu seinem Trainingsprogramm. »Jetzt kommt ein Meme«, sagt er und gibt damit zweifelsfrei zu erkennen, dass er keinerlei Verständnis dafür hat, wie ein Meme entsteht und, schlimmer, dass eben nicht alles einfach grobschlächtig am Reißbrett fabrizierbar ist, was eine amüsierte Massendynamik erzeugen kann. »Ich habe die ersten vier Monate nur alleine am Sack trainiert«, sagt Raab dann also grienend. Man sitzt dabei fremdbeschämt in der Kulisse, hat Angst, dass er zur Sicherheit gleich noch näher erklärt, warum das lustig ist, und verschließt in Erwartung des Wortes Skrotum vorsorglich seine Ohren wie ein tauchender Fischotter.

Dann fragt Raab besagte Bella, was sie denn so beruflich mache, und nach ihrer Followerzahl. Auf Instagram habe sie 2,6 Millionen, bescheidet die junge Frau freundlich, »wie du!«. Wie lange sie dafür gebraucht habe, will Raab wissen. 10 Jahre, sagt Bella. »Siehst du«, sagt Raab, »und ich drei Tage«.

Er will besiegen, unbedingt, immerzu. Wie anstrengend das sein muss. Und er hat bei den Followerzahlen – wie beim Boxkampf – in Wahrheit doch verloren: Eigentlich wollte er mit seinem ersten noch vagen Comeback-Ankündigungsvideo um Ostern herum zehn Millionen Follower sammeln, um im Falle des Erfolgs dann seine TV-Wiederkehr zu starten.

Was Raab auf dieser wirklich sehr, sehr sonderbaren Pressekonferenz dann natürlich auch noch erzählt, bevor er zum Abschluss singend auf den Tisch springt: Ja, er macht wieder Shows. Für fünf Jahre hat er bei RTL unterschrieben, am Mittwoch startet seine neue Quizshow, bei der man nun wöchentlich eine Million Euro gewinnen kann (was er als Host in gewohnter Terriermanier freilich verhindern will). Allerdings wird dieses neue Format nicht bei RTL im linearen Fernsehen laufen, sondern nur auf der hauseigenen und teils kostenpflichtigen Streamingseite RTL+. Unter dem entsprechenden Instagram-Post des Senders sammeln sich in der Nacht zügig maulige Kommentare, dass der auferstandene Raab also augenscheinlich nicht gratis für alle zu haben sein wird, dass sein Comeback weniger nach avisierter Rettung des Fernsehens und mehr als nicht ganz günstige Werbemaßnahme für eine Streamingplattform aussieht.

Könnte sein, dass Menschen aus irgendwelchen nostalgieverschleierten Gründen zwar durchaus wieder Altbekanntes sehen wollen, aber doch bitte nicht auf einer neumodischen Bühne. Nach der erschreckend innovationsarmen, vor allem von Eingewecktem zehrenden Box-Show ist der Glaube an eine echte Unterhaltungsrevolution überschaubar.

In der prallvollen Straßenbahn zurück in die Düsseldorfer Altstadt ist es gegen Mitternacht sonderbar still. Vier Mittdreißiger schauen stumm auf ihre Handys und sagen dann doch noch was zu diesem denkwürdigen Abend. »Musiala hat in der ersten Minute ein Tor geschossen, krass«, sagt einer. Und der andere: »Und Kane gleich drei, geil.«

2024-09-15T11:15:07Z dg43tfdfdgfd