BABYWEINEN IN DER SCALA: NEUER INTENDANT IN MAILAND

Langweilig ist es in der Scala eigentlich nie, und auch in diesen Tagen sorgt das Mailänder Opernhaus wieder für so viel Gesprächsstoff, dass sich locker ein unterhaltsames Bühnenstück daraus stricken ließe. Die jüngste Figur darin wäre zweifellos das Baby, das gerade mit seinem Weinen die Premiere von Pietro Mascagnis „Cavalleria Rusticana“ („Sizilianische Bauernehre“) und die Wiederaufnahme von „Pagliacci“ („Der Bajazzo“) von Ruggero Leoncavallo gestört hat und daraufhin – natürlich zusammen mit seinen Eltern, einem britischen Paar – vom Intendanten höchstpersönlich, dem Franzosen Dominique Meyer, des Saals verwiesen wurde.

Zunächst war etwa nach der Hälfte von Mascagnis Oper ein Wehklagen zu hören, das von einer Loge auf der rechten Seite des Saals kam. Kurz darauf, mitten in der berühmten Arie „Voi lo sapete, o mamma“, die von der Sopranistin Elina Garanca meisterhaft interpretiert wurde, setzte das kindliche Jammern wieder ein, diesmal lauter, woraufhin ein Zuschauer „Silenzio! Silenzio!“ rief. Das Baby weinte weiter. Jetzt offenbar erst recht. Das Theaterpersonal stellte sich taub und griff nicht ein, obwohl das Protokoll der Scala in einem solchen Fall ganz klar ist. Es möchte, dass ein Kind, das andere stört, sowie dessen Begleitperson freundlich eingeladen werden, den Rest der Vorstellung auf den Bildschirmen im Foyer weiterzuverfolgen.

Um eine Eskalation zu verhindern, blieb Dominique Meyer, der im Parkett saß, nichts anderes übrig, als den Saal zu verlassen und selbst die Eltern des kleinen Störenfrieds in ihrer Loge aufzusuchen. Meyer zeigte sich danach verärgert. Ob wegen seines untätigen Personals oder wegen der Störung an sich, blieb unklar. So oder so wird ohnehin bald ein anderer in dem altehrwürdigen Opernhaus über Ruhe und Ordnung wachen, und das ist das Zweite, worüber in diesen Tagen viel geredet wird: Nach monatelangem Hin und Her ist der 64 Jahre alte Fortunato Ortombina, Lombarde, Verdi-Experte und Leiter der Fenice-Oper in Venedig, einstimmig zum neuen Intendanten der Scala gewählt worden.

Die Entscheidungsfindung war von der Ablehnung verschiedener Kandidaten und dem hitzigen Streit um ein neues Gesetz geprägt, das eine Altersgrenze für Theaterdirektoren von siebzig Jahren vorsieht und dem nachgesagt wird, es ziele vor allem darauf ab, Ausländer von solchen Posten zu verdrängen. Am Ende hatte die Debatte alle zermürbt. Ortombinas Ernennung scheint jetzt alle zufriedenzustellen. Er war schon von 2003 bis 2007 an der Scala tätig und hinterließ dort einen guten Eindruck. Vor allem Kulturminister Gennaro Sangiuliano ist entzückt, dass nach achtzehn Jahren wieder ein Italiener an die Spitze der Scala rückt. Der Einzige, der noch Zweifel anmeldete, ist der italienische Gewerkschaftsbund. Man habe doch bloß dem nationalistischen Wunsch des Kulturministers und dessen Fixierung auf Italianità nachgegeben.

Wie wohl der neue Intendant auf eine Störung reagieren wird, wie die Premierengäste sie gerade erlebt haben? Italiener sind wirklich äußerst kinderfreundlich, die Oper ist ihnen aber heilig. Deshalb hat die Scala ja auch ein großartiges Opernprogramm für ihre kleinsten Besucher und deren Familien aufgelegt. Und Babysitter gibt’s ja übrigens auch noch.

2024-04-19T18:17:21Z dg43tfdfdgfd