TAYLOR SWIFT UND DIE MEDIEN: MUSIKKRITIKER, WO WART IHR?

Selbst ein übermächtiger Popstar wie Taylor Swift postet Rezensionen ihres neuen Albums auf Instagram – aber nur die positiven. Was der mediale Umgang mit Swifts neuem Album über den Zustand der Kulturkritik aussagt.

Drei Tage, nachdem Taylor Swift ihr Album »The Tortured Poets Department« veröffentlicht hatte, postete sie auf Instagram drei Slides, auf denen drei Kritiken zu ihrem Album zu sehen waren. Eine aus dem US-amerikanischen »Rolling Stone«, die dem Album einen »Instant classic Status« verleiht. Eine aus der Londoner »Times«, »ein 5-Sterne-Vergnügen«, und eine aus dem britischen »Independent«, »eine wunderbare Erinnerung an die Kraft ihres Storytellings.«

DER SPIEGEL fasst die wichtigsten News des Tages für Sie zusammen: Was heute wirklich wichtig war - und was es bedeutet. Ihr tägliches Newsletter-Update um 18 Uhr. Jetzt kostenfrei abonnieren.

Das wäre nichts Besonderes, wäre Taylor Swift einfach irgendeine Künstlerin. Aber Taylor Swift ist eine Künstlerin, für die den Journalisten mittlerweile die Adjektive ausgehen, um sie zu beschreiben. Insbesondere seitdem der Begriff des Stars ausgehöhlt wurde, weiß man nicht mehr, wie man Swift bezeichnen soll, ein Superstar, ein Megastar, ein Gigastar? Es ist ein bisschen wie bei Bytes und Festplatten: Wie viele Terabytes passen auf eine Taylor Swift, oder sind wir schon bei Petabytes? Und weil Swift, misst man das in Ticketverkaufszahlen oder Streamingrekorden, in ihrer eigenen Liga spielt, verwundert es, dass sie es offenbar nötig hat, positive Kritiken auf Instagram zu teilen.

Was jetzt kommt, klingt viel miesepetriger, als es gemeint ist

War die Kritik nicht totgesagt worden? War es nicht eine längst akzeptierte Wahrheit, dass die sogenannten »Gatekeeper«, die Feuilletons und Kritiker, im besten Fall nicht mehr nötig waren oder, im schlimmsten Fall, ein Ärgernis, weil sie sich anmaßten, Urteile über das Werk anderer zu fällen? Insofern haben diese drei Posts eine nicht zu unterschätzende Message: Ihr seid wichtig! Es scheint auch für jemanden wie Taylor Swift nicht unerheblich zu sein, in den einschlägigen Medien besprochen zu werden. Natürlich nur, wenn sie auch gelobt wird.

Daher findet sich in dem Instagram-Post auch kein Link zu den Kritiken des »New Yorker« (»Taylor Swift wurde kulturell so allgegenwärtig, dass es sich fast erschreckend anfühlt«) oder der »New York Times« (»Taylor Swift könnte einen Lektor gebrauchen«), vermutlich, weil die das neue Album eher mittelmäßig fanden.

Was durchaus überrascht, denn in beiden Fällen kann man nicht behaupten, dass sich die jeweiligen Medien bisher durch kritische Swift-Berichterstattung hervorgetan hätten, sondern ganz im Gegenteil einiges dazu beitrugen, dass Swift eben allgegenwärtig, oder auf englisch: ubiquitous wurde. Der »New Yorker« hatte kurz nach Veröffentlichung des Albums noch ein Video auf Instagram geteilt, in dem eine Redakteurin »zu Ehren des Erscheinens des neuen Albums« ihre drei Lieblingssongs vorstellt.

Nun könnte man sagen, dass die schlechten Kritiken, die es jetzt teilweise gab, nur den üblichen medialen Gezeiten entsprechen. Auf die Flut folgt die Ebbe, schon aus aufmerksamkeitsökonomischen Gründen, oder anders gesagt: irgendwann werden Lobpreisungen einfach langweilig. Vielleicht ist es aber auch so, dass die Musikkritiker- und kritikerinnen (denn es sind nicht nur bittere ältere Männer, die sich jetzt zu Wort melden) wieder angefangen haben, ihren Job zu machen. Was viel miesepetriger klingt, als es gemeint ist.

Denn es ist ja so, dass in den Abgesängen auf die Kritik, die nun endgültig nicht mehr nötig sei, weil Stars sie nicht mehr bräuchten (soziale Medien) und Fans sie nicht mehr wollten (ebenfalls soziale Medien und ein Gefühl von Empowerment oder auch: ich-lass-mich-doch-von-euch-nicht-vorschreiben-was-ich-gut-finden-soll) gerne von einem Feuilleton ausgegangen wird, das es ohnehin längst nicht mehr gibt. Es ist ein Strohmann, der da aufgebaut wird, und dieser Strohmann besteht aus seitenlangen Habermas-Inverviews und akademischen Gastbeiträgen und Arthouse-Filmbesprechungen. Dieses Feuilleton ist natürlich längst verschwunden, was jeder weiß, der in den letzten zehn Jahren mal eine Zeitung aufgeschlagen oder eine Website besucht hat. Trotzdem hält sich der Vorwurf, die Kulturberichterstattung sei dünkelhaft und ignorant mit einer Hartnäckigkeit, die selbst ignorant ist.

Man kann das ganz gut an der Swift-Berichterstattung der »Zeit« sehen, die Ende letzten Jahres gleich mit einem Swift-Triptychon aufwartete. Nachdem es dort im Feuilleton zunächst einen großen Swift-Lobgesang gab, mit dem Tenor: Taylor Swift vereinigt die USA, schrieb wenig später die damalige Feuilleton-Chefin einen weiteren Swift-Text, aus Anlass der Tatsache, dass Swift vom »Time«-Magazin zur »Person of the Year« gekürt worden war. Der war zwar anerkennend, aber nicht nur voll des Lobes. Offenbar zu viel für die »Zeit«-Redaktion, denn kurz darauf erschien »ein Widerspruch« dazu, in dem eine Autorin anprangerte, Musikjournalisten würden immer nur über Beethoven oder die Beatles schreiben. Man wüsste gerne, welche Medien die Autorin konsumiert, in denen Beethoven und die Beatles noch der Goldstandard der Kritik sein sollen.

Man kann es sich nicht mehr leisten, an der Zielgruppe vorbeizuschreiben

1969 prägte der amerikanische Literaturwissenschaftler Leslie Fiedler in einem berühmt gewordenen Aufsatz die Parole: »Cross the border, close the gap«. Er meinte damit, dass die Kulturkritik sich den populären Künsten öffnen sollte, um den Anschluss nicht zu verpassen. Fiedler hatte das ein Jahr zuvor in einem Vortrag in Freiburg gefordert. So richtig Wumms entwickelte die These aber erst, als er sie später als Essay im »Playboy« veröffentlichte. Was seiner These auch angemessener war.

Fiedler löste damit einen fundamentalen Shift aus. Gerade in Deutschland, wo das Feuilleton eine ganz andere Tradition hat als, zum Beispiel, in den USA, vollzog sich da eine wichtige Veränderung, wenn auch teilweise schleppend. Es dauerte, bis Popmusik, Blockbuster-Filme und überhaupt populäre Kultur als gleichwertig angesehen wurden. 1969 ist aber nun auch schon über 50 Jahre her. Und obwohl Fiedler mit allem Recht behalten hat, hält sich doch die irrige Annahme, auf den Literaturseiten würden auch im Jahr 2024 hauptsächlich Nobelpreisträger und von Musikkritikern hauptsächlich klassische Musik besprochen.

Was Fiedler natürlich nicht wissen konnte, war, dass sich die heutige Kulturkritik nicht nur aus intrinsischen Gründen für mehr interessiert als das, was man mal »Highbrow« nannte, und auch nicht nur aus moralischen, weil man sich nicht den Vorwurf des Elfenbeinturmhockens gefallen lassen will. Sondern auch aus knallhartem ökonomischem Kalkül. Man kann es sich schlicht nicht mehr leisten, an der Zielgruppe vorbeizuschreiben. Die Gemengelage aus prekären Verhältnissen in den Redaktionen einerseits und steigendem Wissen über die Interessenlagen der sogenannten User andererseits führt logischerweise zu einer verdichteten, trichterförmigen, monothematischen Berichterstattung. Oder anders: Immer mehr über immer dasselbe.

Was passiert, wenn ein Kulturmonopol zu groß wird

So lässt sich dann vielleicht auch erklären, dass noch der letzte Tropfen aus einem Phänomen gequetscht wird, bis wirklich nichts mehr übrig ist, woran sich übrigens auch der Autor dieses Textes beteiligt hat. Wie oft konnte man in den vergangenen Monaten lesen, (auch auf dieser Website), dass es sogar Taylor-Swift-Seminare an Universitäten gebe. Der Tenor war immer: Gibt's doch gar nicht! Wahnsinn, sogar in die akademische Welt hat sie es also geschafft! Als wäre Popkultur nicht seit Jahrzehnten Teil der akademischen Welt, als gebe es nicht reihenweise Doktorarbeiten über Lady Gaga oder einen eigenen akademischen Zweig mit dem Namen »Madonna Studies«.

Vielleicht ist das Interessanteste an Taylor Swifts neuem Album also, dass man nun beobachten kann, was passiert, wenn ein Kulturmonopol wie das Taylor-Swift-Imperium zu groß wird. Kurz nach ihrem kritischen Artikel über »The Tortured Poets Department« veröffentlichte die »New York Times« einen weiteren Text mit der Überschrift: »Taylor Swift hat ihren Fans viel gegeben. Ist es nun endlich zu viel?« In dem Artikel wird die These aufgestellt, dass nun eine Swift-Fatigue einsetzen könnte, ein Überdruss.

Bei all den Rekorden, die Swift gebrochen hat, scheint sich eine Branche jetzt fragen zu müssen, was sie eigentlich währenddessen gemacht hat. Man könnte auch fragen: »Where were you when Taylor Swift became ubiquitous?« Taylor Swift auf jeden Fall war überall, aber auch auf Instagram. Und dass der größte Petastar unserer Zeit Lobeshymnen auf Insta teilt wie ein Newcomer, Kritik aber ausspart, könnte fast hoffnungsvoll stimmen.

Weil es zeigt, dass es doch noch einen Unterschied macht, ob man eine Lobeshymne oder eine kritische Auseinandersetzung schreibt.

2024-04-24T15:28:15Z dg43tfdfdgfd