NEWS DES TAGES: UKRAINE-KRIEG, AFD, HARVEY WEINSTEIN

Die Aufhebung eines Urteils gegen Harvey Weinstein könnte viele Frauen entmutigen. Russlands Streitkräfte rücken im südlichen Donbass vor. Und die AfD steckt tief im Autokratensumpf. Das ist die Lage am Freitagabend.

1. Erzielen russische Streitkräfte im Süden des Donbass einen Durchbruch?

»Die Kette militärischer Niederlagen kann von keiner Regierungspropaganda mehr schöngeredet werden«, hat der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz kürzlich im Gespräch mit dem SPIEGEL über die russischen Misserfolge im von Wladimir Putin befohlenen Angriffskrieg gegen die Ukraine gesagt.

Die aktuelle Lage an der Front scheint allerdings auch für die ukrainische Seite beunruhigend zu sein. Meine Kollegen Fedir Petrov und Oliver Imhof berichten heute, dass die russischen Streitkräfte im südlichen Donbass unerwartete Gebietsgewinne machen.

DER SPIEGEL fasst die wichtigsten News des Tages für Sie zusammen: Was heute wirklich wichtig war - und was es bedeutet. Ihr tägliches Newsletter-Update um 18 Uhr. Jetzt kostenfrei abonnieren.

Nach der Absegnung eines US-Hilfspakets für die Ukraine durch den amerikanischen Präsidenten Joe Biden am Mittwoch sind zwar innerhalb von Stunden neue Waffen und Munition gen Osten geschickt worden. Nun berichten aber sowohl ukrainische als auch russische Blogger, dass den Kremltruppen im südlichen Donbass ein Einbruch in die ukrainischen Defensivlinien gelungen ist. Die Russen haben wohl eine Rotation der ukrainischen Verbände in der Region ausgenutzt.

»Ob die Russen aus dem Einbruch einen Durchbruch machen, ist noch nicht absehbar«, so die Kollegen. Die Ukraine habe eine schwächere Einheit an einem wichtigen Frontabschnitt eingesetzt. »Ein Grund könnte der massive Personalmangel in der ukrainischen Armee sein.« Auf russischer Seite sei die Lage ebenfalls angespannt. »Aus Mangel an Truppentransportern müssen die Aggressoren immer wieder auf eigenwillige Konstruktionen oder Motorräder zurückgreifen, um Soldaten in Frontnähe zu bringen.«

2. Die AfD wird offenbar gesteuert und infiltriert von den beiden mächtigsten Autokratien der Welt

Spitznamen sagen oft eine Menge aus über Menschen, deshalb könnte man einen Politiker, der von Freunden wie Gegnern »Schampus-Max« genannt wird, für eine harmlose Figur halten. Im Fall des sächsischen AfD-Politikers Maximilian Krah, Spitzenkandidat seiner Partei für die Europawahl, stimmt das eher nicht. Er gibt sich gern als Dandy und pflegt die Nähe zu den Großmächten China und Russland. Der Generalbundesanwalt ließ zu Beginn der Woche einen engen Mitarbeiter Krahs festnehmen, weil dieser interne Informationen aus dem Europaparlament an einen chinesischen Geheimdienst weitergegeben haben soll.

Die aktuelle SPIEGEL-Titelstory legt offen, wie bedeutsam die AfD für Russlands hybride Kriegsführung gegen den Westen ist und welch ungewöhnlich entspanntes Verhältnis Politiker wie Krah zu autokratischen Systemen pflegen.

Ein Team um Titelautor Martin Knobbe hat recherchiert, wie gut die AfD mit den Regimen in Russland und China vernetzt ist. Der Kreml hat offenbar sogar in einem »Manifest« Strategien für die Zukunft der Partei entworfen. Im Fokus der Enthüllungen stehen der Europa-Spitzenkandidat Krah, der sogar vom FBI befragt wurde, und Petr Bystron von Listenplatz zwei. Bystron soll Geld aus Russland erhalten haben, der tschechische Nachrichtendienst BIS hörte Gespräche ab, die diesen Schluss nahelegen. Auf einer der Aufnahmen höre man das Rascheln von Geldscheinen. Zudem hat sich Bystron nach SPIEGEL-Recherchen offenbar über die Stückelung des Bargelds beschwert: Einen Teil des Geldes könne man in Deutschland nur schwer loswerden, da er damit an keiner Tankstelle und in keinem Geschäft zahlen könne.

»Die AfD steckt offensichtlich weit tiefer im Autokratensumpf als bislang vermutet«, berichten die Kolleginnen und Kollegen. Gehörte es bisher zum Markenkern der Rechten, den verhassten »Systemparteien« vorzuwerfen, sie würden deutsche Interessen verraten, so scheine es nun, als habe die Partei sich damit vor allem selbst beschrieben. »Die AfD entpuppt sich als Alternative gegen Deutschland, in Teilen offenbar gesteuert und infiltriert von den zwei mächtigsten Autokratien der Welt.«

3. Die Aufhebung des Urteils gegen Harvey Weinstein ist ein Rückschlag für die #MeToo-Bewegung

Der Prozess gegen Harvey Weinstein ist in die Geschichte eingegangen, als Meilenstein im Kampf gegen sexuelle Gewalt und Machtmissbrauch. Nun hat das höchste Gericht des US-Bundesstaats New York das dortige Urteil gegen Weinstein aufgehoben und dem Richter der ersten Instanz schwere Verfahrensfehler attestiert. Hinter der Entscheidung stehe eine grundsätzliche Frage, berichtet heute mein Kollege Alexander Sarovic: »Inwieweit können Anklägerinnen und Ankläger #MeToo-Strafverfahren überhaupt gewinnen?« Die Entscheidung des New Yorker Gerichts dürfte nach Meinung vieler Expertinnen in Zukunft Opfer davon abschrecken, mit ihren Vorwürfen an die Öffentlichkeit zu gehen.

Vielleicht, so schreibt meine Kollegin Ulrike Knöfel in ihrem Kommentar zur New Yorker Gerichtsentscheidung, markiere die Aufhebung eines der Urteile zum Fall Weinstein sogar den Übergang in ein neues, nicht gerade besseres Zeitalter. »Die Evolution der Gleichberechtigung funktioniert ja so: Nach jeder Errungenschaft für die Frauen verging gern mal eine Ewigkeit bis zu einer weiteren. Manchmal verschlechterte sich die Lage zwischenzeitlich auch deutlich.«

Neben den Gesetzen gebe es gesellschaftliche Regeln, und die fielen lange zugunsten der Männer aus, schreibt Ulrike. »Etliche Branchen – darunter die Filmindustrie, überhaupt die Kultur – schienen es Tätern besonders einfach zu machen: Man redete sich raus, dass diese Verhaltensweisen hier geradezu systemimmanent seien, sein müssten. Extreme Abhängigkeitsverhältnisse waren und sind ein Teil des Problems. Das Gefälle war groß, und seit Weinstein konnte niemand mehr den Eindruck erwecken, es gäbe keins.«

Natürlich sollte jeder Angeklagte das Recht auf ein faires Verfahren haben, auf einen Prozess ohne Formfehler. »Aber diese Ungültigkeitserklärung des ersten Urteils, das 23 Jahre Gefängnis vorsah, gibt Anlass zu Sorgen«, so meine Kollegin. Die umstrittene Entscheidung des höchsten Gerichts im Bundesstaat New York »vermittelt und verstärkt die Botschaft, dass es für die Frauen wieder schwieriger wird, sich zu schützen, sich zu wehren.«

Was heute sonst noch wichtig ist

  • (Etwas) mehr Männer arbeiten Teilzeit – aber oft nicht für die Familie: Jede zweite Frau in Deutschland arbeitet in Teilzeit, auch Männer reduzieren öfter. Auf mehr Unterstützung bei der Familienarbeit können Frauen bei ihren Männern aber in der Regel nicht setzen.

  • Commerzbank rechnet noch mit weiter sinkenden Immobilienpreisen: »Die Korrektur dürfte noch nicht zu Ende sein«: Die Preise für Häuser und Wohnungen könnten nach Ansicht der Commerzbank zumindest noch etwas weiter fallen. Geringe Verkäufe deuteten auf »weiteres Abwärtspotenzial«.

  • Rätselhafter Gasaustritt an Deich – elf Verletzte: Eine kaputte Leitung soll nicht die Ursache sein: An einem Deich in Niedersachsen werden Erkundungsbohrungen durchgeführt, als plötzlich Gas austritt. Nun nehmen Spezialisten Proben vor Ort.

Meine Lieblingsgeschichte heute

Meine Kollegin Anja Rützel war dabei, als Charlène und Fürst Albert von Monaco samt Nachwuchs Hamburg besuchten und dort eine winzige Version ihres Heimatlandes in der Modelleisenbahnanlage des sogenannten Miniatur Wunderlands einweihten. Im neu geschaffenen Teil ist neben dem Fürstentum Monaco samt Formel-1-Strecke nun auch eine Provence-Landschaft zu sehen. »Wie im echten Leben findet auch in dieser kleinen Welt jeder das, was ihn interessiert«, schreibt Anja. Royalistinnen und Romantiker können etwa eine detailgetreue Szene der Hochzeit von Fürst Rainier III. und Fürstin Gracia Patricia im Jahr 1956 bewundern. Auch die adligen Besucher des Jahres 2024 werden in Hamburg bald zu sehen sein. »Im Miniatur Wunderland bleibt die Familie auf ewig, natürlich geschrumpft: Schon während des Events wurde hinter verschlossener Tür an ihren Miniaturen gearbeitet, die bald in der Anlage aufgestellt und exakt in den Farben gekleidet sein werden wie ihre lebendigen Vorbilder.«

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

  • Voll auf Kollisionskurs: Die FDP will sparen, SPD und Grüne planen Mehrausgaben. Das kann nicht gut gehen. Vor allem zwischen Christian Lindner und Boris Pistorius droht ein Showdown.

  • Über den berühmten Großvater spricht er am liebsten gar nicht: Mit Journalisten hat er meist schlechte Erfahrungen gemacht. Unserer Reporterin gewährt er Einblick in sein Leben. Wer ist Johannes Volkmann, 27 Jahre, Kandidat für den CDU-Bundesvorstand – und Enkel Helmut Kohls?

  • Deutschlands klügster Filmhandwerker – und manchmal auch ein Revolutionär: Als Regisseur war Michael Verhoeven ein vielseitiger, oft politisch engagierter Tausendsassa. Dass sein eigener Ruhm oft von dem seiner Frau Senta Berger überstrahlt wurde, schien er lässig in Kauf zu nehmen.

Was heute weniger wichtig ist

Tod eines Doppelgängers: Der aus Detroit stammende US-Musiker Eminem, 51, ist offenbar entschlossen, sich von seiner bei Fans sehr populären Doppelgänger-Kunstfigur Slim Shady zu trennen, die über kontroverse Themen wie Sex und Gewalt rappte. Eminem nennt sein für den Sommer angekündigtes neues Album »The Death of Slim Shady (Coup De Grâce)« und präsentiert auf Instagram einen Clip, in dem eine verpixelte Person sagt: »Ich wusste, dass es bei Slim nur eine Frage der Zeit sein würde.«

Mini-Hohlspiegel

Hier finden Sie den ganzen Hohlspiegel.

Cartoon des Tages

Und heute Abend?

Könnten Sie sich im Kino den Film »Challengers« ansehen, der mich wirklich begeistert hat. Nur dem ersten Anschein nach geht es darin um den Tennissport und die Dramen von Aufschlag, Breakbällen und geschundenen Kniegelenken auf dem Platz.

Der italienische Regisseur Luca Guadagnino hat vor ein paar Jahren mit »Call Me by Your Name« sein Gespür für fast surreal schöne, stilbewusste Kinomelodramen bewiesen. Hier zeigt er die Schauspielerin Zendaya und ihre beiden Mitspieler Mike Faist und Josh O’Connor in einem Liebesdreieck – und inszeniert das Spiel der Begierde zwischen drei schönen jungen Menschen mit einer Intensität, wie man sie im Kino lange nicht mehr gesehen hat.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend. Herzlich

Ihr Wolfgang Höbel, Autor im Kulturressort

2024-04-26T15:45:55Z dg43tfdfdgfd