COSPLAY: FANS UND IHRE FANTASIEVOLLSTEN KOSTüME

Was sagen Eltern, wenn ihre Zöglinge sich in Prinzessin Peach oder Horrorclown Pennywise verwandeln? Ein Fotograf hat italienische Familien besucht, deren Kinder in den skurrilsten Kostümen herumlaufen.

»Sieh nur, was für ein Monster wir erschaffen haben«, sagten die Eltern und meinten damit ihren Sohn, die Echsenmann-Kreatur zwischen ihnen am Küchentisch. So erinnert sich der italienische Fotograf Niccolò Rastrelli an den Besuch bei Andrea und dessen Eltern in Cesena in der Emilia-Romagna. »Sie waren wirklich witzig«, so Rastrelli, »und sie waren stolz«.

Die Glubschaugen, der Panzer. Die scharfen Fingernägel, die auf der Plastiktischdecke mit den bunten Blumen ruhen. Andrea sieht aus wie das liebenswürdige Monster aus Guillermo del Toros märchenhaftem Film »The Shape of Water«. Sein Lieblingsfilm. Das Kostüm hat er selbst gemacht.

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Cosplayer verkleiden sich als Figuren aus Mangas, Anime, Comics, Videospielen oder Filmen. Sie sind für ein paar Stunden Superheldin oder Superschurke. Die Praxis stamme aus der US-amerikanischen Science-Fiktion-Szene und vor allem aus Japan, sagt Rastrelli, wo seit den Achtzigerjahren etwa Trickfilmfiguren verehrt werden. Wo Cosplay zuerst auftauchte, habe Rastrelli nicht richtig rekonstruieren können. Der Trend habe in den Neunzigerjahren Europa erreicht, auch dank erfolgreicher Serien wie »Sailor Moon« oder »Dragon Ball«.

Inzwischen finde in Italien fast jedes Wochenende ein Event für Cosplayer statt, sagt Rastrelli. Auch in Deutschland gibt es eine Community. Auf der Frankfurter Buchmesse wird seit 2007 das Finale der Deutschen Cosplay Meisterschaft ausgetragen. Auf der »Connichi«, einer Anime-Convention, wird im deutschen Vorentscheid festgelegt, wer beim jährlichen World Cosplay Summit in Japan teilnehmen darf. Dieses Jahr im September in Wiesbaden.

Die Idee für sein Projekt »They don’t look like me« sei Niccolò Rastrelli 2022 in einer Werkstatt gekommen, in der Masken von italienischen Sängern für ein Fernsehformat gefertigt wurden. Sich zu verkleiden, so zu tun, als sei man jemand anderes, jemand Berühmtes, nur kurz – das habe den gebürtigen Florentiner fasziniert.

Er stieß online auf Cosplayer und wollte sie im Kontrast zur Gesellschaft zeigen. Wer verkörpert die Gesellschaft besser als die eigenen Eltern? Dazu fiel ihm eine Fotoarbeit von John Olson ein, der Stars wie 1971 Elton John im Elternhaus für das US-Magazin »Life« abbildete.

Er suchte auf Instagram und bei Events wie der »Lucca Comics & Games«, Italiens größter Rollenspielmesse. Einige Cosplayer erzählten ihm, dass die Eltern nicht gerade begeistert von dem Hobby seien. Zeit und vor allem Geld werde verschwendet, so der Vorwurf. Doch für viele Cosplayer sei es weit mehr als nur ein Hobby: nämlich Kunst. Sie schneidern, verzieren und schmücken ihre Kostüme bis tief in die Nacht. Zudem, so Rastrelli, biete die Cosplay-Community einen geschützten Raum für Personen, die einfach sein können, wer sie wollen. Für Menschen wie Emma manchmal auch Prinzessin Peach.

Cosplay habe ihr Leben verändert, sagt die 21-jährige Studentin. Cosplay habe ihr geholfen, der Monotonie der Realität zu entfliehen. Als sie noch zur Schule ging, blieb ihr dafür wenig Zeit, das sei jetzt an der Universität besser. Rastrelli inszeniert sie im pinken Kleid, als Figur aus der Super-Mario-Reihe, im Wohnzimmer in Boviso Masciago in der Lombardei, vor dem Vater am Klavier und der Mutter am Esstisch. Im Fernsehen laufen die Nachrichten. Emma, die ihren Nachnamen nicht veröffentlichen möchte, habe das Kostüm im Laufe der Jahre verbessert, das Kleid zwar gekauft, aber bearbeitet, und die Perücke sowie die Krone komplett selbst gebastelt. Im Cosplay gilt: Je mehr man selbst macht, desto besser. Man sollte nicht vorgeben, dass ein gekauftes Kostüm selbst gemacht ist.

Diejenigen, die sich von Rastrelli fotografieren ließen, haben also Eltern, die hinter der Leidenschaft ihrer Kinder stehen. Auch wenn es ein wenig so aussieht, als würden sie vor der Aufnahme seufzen: Kind, was ist nur aus dir geworden? Für einen seiner ersten Hausbesuche traf der Fotograf Sara und ihre Mutter. Die Tochter war an diesem Tag Hinata aus der japanischen Mangaserie »Naruto«. Sie studiert an der Kunstakademie in Mailand. Viele Cosplayer sind handwerklich und künstlerisch begabt.

Die Mutter von Eleonora, die sich für ein anderes Foto aus der Serie als Sheik aus dem Videospiel »The Legend of Zelda« verkleidet hatte, tut nicht so, als würde sie sticken, weil sie sich für ihre Tochter schämt. Sondern, weil sie nicht gern fotografiert wird, erzählt Rastrelli. Sie helfe ihr sogar bei der Anfertigung der aufwendigen Kostüme. Die meisten der gezeigten Cosplayer lebten noch im Elternhaus. Die Atmosphäre sei freundlich gewesen, sagt Rastrelli. Nur bei Rachele, die She-Ra aus der Zeichentrickserie »She-Ra und die Rebellen-Prinzessinnen« verkörperte, habe kurz dicke Luft geherrscht. Hinter ihr posieren der Freund, die Mutter, der Vater, die Schwester und der Hund.

Elena, Emmas Mutter, sagt, ihre Tochter habe sich schon als Kind für Mangas und für die Sprache und Kultur Japans interessiert. Sie habe gern gelesen, mit zwölf Jahren wollte sie selbst Mangas zeichnen. Am Anfang sei das Verkleiden den Eltern wie ein merkwürdiges Spiel erschienen. »Wie beim Karneval«, sagt Elena. Nicht wirklich schlimm, aber auch nicht besonders toll. »Wir sagten, sie solle die Zeit doch lieber zum Lernen nutzen.« Das alles bringe doch nichts.

Viele Eltern vermuten, die Laune werde den Kindern schon vergehen. Doch Emmas Hobby verging nicht, es festigte sich, und die Eltern mussten sich weiter dazu verhalten. Dann fiel der Mutter auf, dass auch ältere Menschen sich verkleiden und zum Beispiel historische Gewänder tragen, warum sollten es die Jungen dann nicht auch dürfen? Sie akzeptierte die Leidenschaft der Tochter, und diese ist ihr dafür dankbar. »Ich wollte das einfach nicht mehr verteufeln«, so Elena.

Emma sagt, Cosplay habe ihr wirklich geholfen. Denn sie sei eine Zeit recht einsam gewesen, »aber heute bin ich an einem Punkt, an dem ich sagen kann, dass ich glücklich bin.« Die Begegnungen mit anderen Cosplayern haben ihr geholfen, sich zu öffnen. Andere Persönlichkeiten darzustellen, habe sie unterstützt, sich selbst zu finden. Sie träumt davon, eines Tages Cosplay zu ihrem Beruf zu machen, arbeitet als Content-Creatorin für einen Videospielhersteller und gibt Tipps für Cosplayer. Andrea, der Echsenmann am Küchentisch, arbeitet inzwischen als Kostümdesigner.

Müsste Niccolò Rastrelli sagen, welches seiner Fotos er besonders gelungen findet, würde er Manuel, den Spiderman auf dem Bett, nehmen. Da passe vieles zusammen, die Einrichtung, die Farben, die Gegenstände. Neben Spiderman die Großmutter auf dem Heimtrainer, und der Großvater, nun ja, ernst. Dazu das Marienbild. Für Rastrelli geht das Projekt weiter. Er möchte durch Europa reisen und noch mehr Cosplayer fotografieren – und natürlich deren Eltern, wenn sie denn möchten.

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