SUNSHINE GUILT: WARUM FüHLEN WIR UNS SCHLECHT, WENN WIR AN SONNIGEN TAGEN ZU HAUSE GAMMELN?

Sunshine Guilt: Das schlechte Gewissen, wenn wir gutes Wetter nicht “ausnutzen”

Draußen lacht die Sonne, auf Instagram zeigen alle Freund:innen und Bekannten, was sie gerade Schönes unternehmen und welchen Energiekick ihnen das gute Wetter beschert, aber du willst in Wahrheit nur das eine: die Vorhänge zuziehen, deine gute alte Feelgood-Serie aufdrehen, Essen bestellen und gammeln. Und zwar nicht im Park, auch nicht im Schwimmbad oder auf dem Balkon dieser einen Freundin, sondern in deinen eigenen vier Wänden. Du hast keine Lust auf ein Picknick im Park oder einen Nachmittag im Café – aber da ist ein klitzekleines Problem. Du kannst deinen Gammeltag nicht richtig genießen, weil du ständig das Gefühl hast, du müsstest deine Zeit “besser nutzen”, etwas erleben oder sogar leisten. Das, liebe Leser:innen, ist Sunshine Guilt!

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Sunshine Guilt wird auf Tiktok heiß diskutiert

Auf TikTok wird dieses Gefühl gerade intensiv diskutiert. In einem viralen Video erzählt die Userin @thereneereina, wie sich diese Schuldgefühle bei ihr manifestieren: “Ich fühle diesen gewissen Druck, einen Spaziergang zu machen und das Wetter zu genießen, und denke die ganze Zeit darüber nach, dass ich eigentlich draußen sein sollte. Damit ist mein Tag ruiniert.”

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Link zum TikTok-Video

Das ist eben das Perfide am “Sunshine Guilt”: Diese Gedanken führen dazu, dass der Gammeltag, den wir uns verdienen und der eigentlich genau das ist, was wir gerade brauchen, zum Anxiety-Albtraum wird. Für Menschen, die ohnehin schon mit sozialem Stress und ihrer mentalen Gesundheit kämpfen, kann der Druck, bei schönem Wetter rauszugehen und den Tag nicht einfach zu “verschwenden”, besonders stressig und belastend sein. Und ich gebe es zu, ich kenne diese Gedanken: Obwohl ich sonniges Wetter liebe, sehne ich mir im Hochsommer manchmal still und heimlich den Herbst herbei und träume von verregneten Tagen, an denen ich absolut keinen Stress verspüre, irgendwas “aus meiner Zeit zu machen”.

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Wie kommt es zu Sunshine Guilt?

Die Schuldgefühle, die wir an einem Tag mit schönem Wetter erleben können, entstehen aber natürlich nicht aus heiterem Himmel (Pun intended!). Wie der US-amerikanische Therapeut Kevin Belcastro in einem Interview erklärt, geht es hierbei vor allem um gesellschaftliche Normen: “Zu Hause zu entspannen und ‘gutes’ Wetter nicht auszunutzen, ist mit negativen Konsequenzen verbunden, weil wir uns fühlen, als würden wir die Erwartungen unserer Umgebung nicht erfüllen.”

Diese Denkmuster können aber auch aus unserer Kindheit stammen, zum Beispiel dann, wenn die eigene Familie extrem aktiv war und bei gutem Wetter immer aus Prinzip zu großen Unternehmungen ausgerückt ist und wir so gelernt haben, dass es falsch sei, schönes Wetter auch einfach mal zu ignorieren. So kommt es dazu, dass wir uns wie Versager:innen fühlen, wenn alle anderen im Café sitzen, wir aber eigentlich nur stundenlang durch TikTok scrollen wollen.

Apropos “die anderen”: Verstärkt wird Sunshine Guilt auch durch die Wahrnehmung dessen, was andere gerade an diesem schönen Tag treiben. Das können die Nachbar:innen sein, deren Grillgeruch durchs Fenster weht, aber vor allem Social-Media-Posts regen zu Vergleichen an und können uns vermitteln, dass wir gerade alles falsch machen. Sunshine Guilt ist übrigens auch eng verwandt mit dem Konzept FOMO, der allseits bekannten und gefürchteten Fear of Missing Out, die ebenfalls mit der Sorge zusammenhängt, etwas zu verpassen.

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Was kann ich gegen Sunshine Guilt tun?

Es wäre zu simpel, es an dieser Stelle als Lösung zu verkaufen, sich doch einfach von den negativen Gedanken und dem sozialen Druck freizumachen, um den Indoor-Me-Day nach allen Regeln der Kunst genießen zu können. Denn wie wir alle wissen, passiert so ein “Mindset-Shift” nicht einfach mal so über Nacht. Das Ganze ist vielmehr ein Prozess – und als ersten Schritt könntest du dir vornehmen, an solchen Tagen einfach mal das Handy beiseitezulegen und dich nicht stundenlang Content auszusetzen, der dir ein noch schlechteres Gefühl gibt, als du ohnehin schon hast. Die ungelesenen Bücher auf deinem Nachttisch werden es dir danken!

Bei der Bekämpfung des Sonnen-Schuldgefühls ist es essenziell, den Fokus der eigenen Wahrnehmung zu shiften – weg davon, was du vermeintlich gerade falsch machst, und hin zu der Frage, was dir gerade guttut und wie du dir einen schönen Selfcare-Tag machen kannst. Denn auch, wenn es sich oft anders anfühlt: Die eigenen Prioritäten und Grenzen wahrzunehmen und zu respektieren, ist viel wichtiger, als sich gesellschaftlichen Regeln zu beugen, die uns einfach nur stressen.

Laut dem Experten Belcastro ist es nämlich so: Jede:r von uns hat andere Wege, die eigenen Energiereserven wieder aufzuladen. Denn auch, wenn es natürlich grundsätzlich gut und empfehlenswert ist, an einem sonnigen Tag einen kleinen Spaziergang zu machen oder etwas mit Freund:innen zu unternehmen, sofern wir Lust darauf haben, ist es völlig in Ordnung, sich dieser Logik auch einfach mal zu entziehen.

Manche ziehen ihre Energie aus sozialen Interaktionen und Aktivitäten an der frischen Luft, andere hingegen holen sich ihre Kraft aus der Zeit, die sie alleine in ihrem Safe Space verbringen. Und keine dieser beiden Varianten ist “besser” oder erstrebenswerter als die andere – auch wenn uns das gerne immer wieder verklickert wird.

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